Wien Heumarkt Hochhausprojekt: Europäische Kommission teilt die Auffassung des Bundesverwaltungsgericht bezüglich UVP-Pflicht

Die Europäische Kommission ist im Rahmen ihres unlängst ergangenen Aufforderungsschreibens an die Republik Österreich (Vertragsverletzung Nr. 2019/2224) auch auf das Hochhausprojekt am Heumarkt eingegangen.

Darin wird mitgeteilt, dass die EU-Kommission die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vertritt. Dieses hatte mit Erkenntnis vom 9.04.2019 entschieden, dass für das Vorhaben „Hotel InterContinental – WEV – Heumarktgebäude“ eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen ist.

Zum Heumarkt-Projekt hält die EU-Kommission mit Hinweis auf Artikel 4 der „Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten“ (UVP-RL) wortwörtlich fest:

[…]  Gemäß der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten bei der Festsetzung der Schwellenwerte einen gewissen Wertungsspielraum. Dieser Wertungsspielraum wird jedoch durch die Verpflichtung gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie eingeschränkt, dafür zu sorgen, dass Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Die Schwellenwerte gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie sollen den Mitgliedstaaten die Beurteilung der konkreten Merkmale eines Projektes erleichtern; dagegen dienen sie nicht dazu, ganze Klassen von Projekten von vornherein insgesamt von der Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung auszunehmen.

Aus Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie ergibt sich, dass bei der Festlegung von Schwellenwerten die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III der Richtlinie zu berücksichtigen sind. Gemäß Nummer 2 Buchstabe c Ziffer viii desselben Anhangs muss die ökologische Empfindlichkeit der geografischen Räume, die durch die Projekte möglicherweise beeinträchtigt werden, beurteilt werden. Hierbei ist der Belastbarkeit der Natur in historisch, kulturell oder archäologisch bedeutenden Landschaften und Stätten besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Dieser Aspekt der Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2014/52/EU zur Änderung der Richtlinie gestärkt. Die Richtlinie 2014/52/EU bekräftigt das Engagement der Europäischen Union zum Schutz und zur Aufwertung von Kulturerbe, einschließlich urbaner historischer Stätten und Kulturlandschaften. Sie betont außerdem, dass die Einbeziehung der optischen Auswirkungen von Projekten, namentlich der Veränderung des Erscheinungsbilds oder der Ansicht der gebauten oder natürlichen Landschaft und städtischer Gebiete in Umweltverträglichkeitsprüfungen wichtig ist, um das historische und kulturelle Erbe und die Landschaft besser zu wahren.

Hinzu kommt, dass die Schwellenwerte die Beurteilung der konkreten Merkmale eines Projektes erleichtern sollen und nicht dazu dienen, ganze Klassen von Projekten von vornherein insgesamt von der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung auszunehmen.

Nach Ansicht der Kommission ist dies in Österreich jedoch der Fall. Die Schwellenwerte für Städtebauvorhaben von einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150 000 m2 sind so hoch angesetzt, dass in der Praxis alle derartigen Projekte, die heutzutage im städtischen Umfeld möglich sind, von vornherein von der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ausgenommen wären.

Diese Feststellung wird veranschaulicht durch das Projekt zur Neugestaltung des Heumarkt Areals im historischen Zentrum von Wien, das als eines der wichtigsten Städtebauvorhaben in Wien seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gilt. Das Projekt umfasst unter anderem den Bau eines Hotelkomplexes mit Restaurants, einem Kino, einem Schwimmbad, einer Bücherei und einem Parkhaus. Das Hauptgebäude, ein 68,2 m hoher Turmbau, wäre nicht nur das höchste Gebäude in der Wiener Innenstadt, sondern es stünde auch in der Sichtachse zwischen dem Stephansdom und dem Schloss Belvedere, was zu einer vollständigen Veränderung der Stadtvedoute führen würde. Deshalb vertrat die UNESCO die Auffassung, dass das Projekt, welches im historischen Zentrum von Wien, einer UNESCO-Welterbestätte, errichtet werden soll, eine ernsthafte Bedrohung des außergewöhnlichem universellen Wertes dieser Stätte darstellt. Folglich nahm die UNESCO die Welterbestätte „historisches Zentrum von Wien (Österreich)“ 2017 in die „Rote Liste des gefährdeten Welterbes” auf. Dessen ungeachtet erließen die österreichischen Behörden einen Beschluss, dem zufolge eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß dem österreichischen UVP-G zur Umsetzung der Richtlinie nicht erforderlich ist, weil die in dem Gesetz festgelegten Schwellenwerte nicht überschritten werden. Dieser Beschluss wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung annulliert, Österreich habe Artikel 4 Absatz 2 in Verbindung mit Anhang II Nummer 10 Buchstabe b der Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt.

Die Kommission teilt die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts. Wenn für eines der wichtigsten Städtebauvorhaben, das innerhalb einer UNESCO-Welterbestätte durchgeführt werden soll, keine UVP-Pflicht besteht, weil es die im österreichischen Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie festgesetzten Schwellenwerte nicht überschreitet, dann ist offensichtlich, dass die Schwellenwerte ohne gebührende Berücksichtigung der Auswahlkriterien gemäß Anhang III der Richtlinie, insbesondere der Belastbarkeit der Natur in historisch, kulturell oder archäologisch bedeutenden Landschaften und Stätten, festgesetzt wurden. Daraus folgt, dass die Schwellenwerte mit Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie unvereinbar sind.

Die Kommission vertritt deshalb die Auffassung, dass Österreich seinen Wertungsspielraum gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie überschritten hat, indem es Schwellenwerte für Städtebauvorhaben festgesetzt hat, die mit Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie unvereinbar sind.

Zur Vorgeschichte:

Auf Antrag der WertInvest Hotelbetriebs GmbH entschied die Wiener Landesregierung (als zuständige UVP-Behörde) per Feststellungsbescheid vom 16. Oktober 2018, dass für das Vorhaben „Hotel InterContinental – WEV – Heumarktgebäude“ keine UVP durchzuführen sei.

Gegen diesen Feststellungsbescheid erhob die anerkannte Umweltorganisation „Alliance For Nature“ (im Rahmen ihrer Initiative „Rettet das UNESCO-Welterbe ‚Historisches Zentrum von Wien‘!“) Beschwerde an das BVwG mit folgendem Wortlaut:

Das Bauvorhaben „Hotel lnterContinental, WEV und Heumarktgebäude“ liegt nicht nur in einem Gebiet der Kategorie D des Anhanges 2 zum UVP-G 2000, wie dies im Feststellungsbescheid angeführt ist, sondern auch in einem besonderen Schutzgebiet der Kategorie A des Anhanges 2 zum UVP-G 2000. Denn das Bauvorhaben soll im „Historischen Zentrum von Wien“, einer in der Liste gemäß Artikel 11 Abs. 2 des „Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ (BGBl. Nr. 60/1993 und BGBl. Nr. 94/2008) eingetragenen UNESCO-Welterbestätte errichtet werden (…). Dementsprechend kommen bei der Beurteilung der Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht nicht (nur) die im Feststellungbescheid angeführten Tatbestände des Anhanges 1 zum UVP-G 2000 (Z 9 lit. h, Z 17 lit. b, Z 18 lit. b, Z 19 lit. b, Z 20 lit. a und Z 21 lit. b) in Betracht, sondern (auch) jene, die für Gebiete der Kategorie A (besonderes Schutzgebiet) gelten (z.B. Z 9 lit. g, Z 20 lit. b).

Die Beschwerde der „Alliance For Nature“ war Anlass dafür, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter Anwendung des österreichischen UVP-Gesetzes und der europäischen UVP-Richtlinie zu folgendem Ergebnis kam:

Das Vorhaben wird aufgrund seiner Masse und Bauhöhe eine wesentliche Störung der historischen Skyline, die von der UNESCO als grundlegend für den außergewöhnlichen Wert genannt wurde, bewirken, wobei dies auch zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Authentizität und Integrität der Welterbestätte führt und damit den Ernennungskriterien für deren Ernennung widerspricht. Es ist somit zu erwarten, dass unter Berücksichtigung des Ausmaßes und der Nachhaltigkeit der Umweltauswirkungen der Schutzzweck, für den das schutzwürdige Gebiet „UNESCO-Welterbestätte Historisches Zentrum von Wien“ festgelegt wurde, erheblich beeinträchtigt wird. Gemäß § 3 Abs. 4 UVP-G 2000 i.V.m. Abs. 7 dieser Bestimmung und Anhang 1 Z 18 lit. b UVP-G 2000 samt Fußnote 3a sowie unter unmittelbarer Anwendung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 und 3 i.V.m. Anhang II Z 10 lit. b und Anhang III der UVP-Richtlinie 2011/92/EU i.d.F. der Richtlinie 2014/52/EU ist für das Vorhaben „Hotel InterContinental“, „WEV“ und „Heumarktgebäude“ eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.

Weiterer wichtiger Meilenstein für die Erhaltung des Weltkulturerbes Historisches Zentrum von Wien“:

Alliance-Generalsekretär Christian Schuhböck zeigt sich naturgemäß erfreut, dass die EU-Kommission die Auffassung des BVwG vertritt: „Dies ist ein weiterer wichtiger Meilenstein in unseren Bemühungen, das ‚Historische Zentrum von Wien‘ im Sinne der UNESCO-Welterbe-Konvention zu erhalten.

Dennoch gilt es abzuwarten, wie der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in dieser Causa entscheidet, zumal die Betreibergesellschaft Revision gegen das BVwG-Erkenntnis eingelegt hat. Unabhängig davon dürfte aber die Causa ‚Heumarkt‘ zu einer Novellierung des UVP-Gesetzes dahingehend führen, dass Projekte à la Heumarkt in Österreichs Welterbestätten zukünftig nicht mehr möglich sein werden.“

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